13.05.2019
Die Kreditvergabe für Privatkunden konnten Banken erfolgreich standardisieren und vereinfachen. Gewerbetreibende und Freiberufler hingegen kämpfen weiterhin mit komplizierten Formularen und intransparenten Prozessen. Hochwertige digitale Lösungen finden sie bislang nur bei den Fintechs. Dabei steigt der Zahl der Selbstständigen in freien Berufen beständig und liegt schon bei über 1,4 Million. Die Folge: Die großen Finanzhäuser drohen in diesem Zukunftsmarkt den Anschluss zu verlieren und Newcomern das Feld zu überlassen.
»In der Digitalisierung des Gewerbekredits steckt noch viel Potenzial für die Banken«, ist sich Sven Dost, Senior Consultant bei der auf Finanzdienstleister spezialisierten Unternehmensberatung Cofinpro sicher. Fintechs sowie amerikanische IT-Unternehmen und Zahlungsdienstleister nutzen die Schwäche der traditionellen Institute bereits aus und »punkten mit Schnelligkeit, einfachen Antragsstrecken und neuen Formen der Bonitätsprüfung.«
Dabei können sie auf einen großen Markt zugreifen: Freiberufler und kleinere Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern beantragen jährlich Kredite in Höhe von über 16 Milliarden Euro. Gewerbetreibende und Freiberufler tragen mit 32 Prozent bereits jetzt den größten Anteil des Volumens langfristiger Investitionskredite im KMU-Segment. Und in Zukunft könnten es noch mehr werden, da der Arbeitsmarkt im Wandel ist. So stieg die Zahl der Selbstständigen in freien Berufen in Deutschland von 2008 bis 2018 von rund 1 Million auf 1,407 Millionen.
Im Gegensatz zu Privatkunden müssen sich Selbstständige bei ihrer Bank auf einen langen Prozess einstellen, wenn sie einen Kredit beantragen: Neben wirtschaftlichen Zahlen des Unternehmens, Einkommensteuerbescheid und Selbstauskunft ist meist auch ein persönliches Berater-Gespräch »Pflicht«. Dass Gewerbetreibende und Freiberufler aufgrund dieser hohen Anforderungspflichten gegenüber Angestellten schlechter gestellt werden, ist nach Ansicht des Cofinpro-Kreditexperten nicht gerechtfertigt. Meist genüge ein Blick auf Kontoumsätze, persönliche Daten sowie ein »Verhaltens-Scoring« zum Kunden und seiner Vergleichsgruppe, um eine schnelle Bonitätsentscheidung treffen zu können. »Nehmen wir zum Beispiel einen freiberuflichen IT-Berater«, erklärt Sven Dost: »Über Vergleichsdaten mit der Peergroup – die der Bank aus eigenen Daten bekannt sind – lassen sich laufende Ausgaben leicht ermitteln. Die wichtigsten Informationen für eine Entscheidung liegen dank der Digitalisierung auf Knopfdruck vor.«
Von einer Vereinfachung und Standardisierung des Antragsprozesses könnten Kunden wie Banken gleichermaßen profitieren: »Jeder Gewerbekunde sollte den Prozess in wenigen Minuten fehlerfrei durchklicken können und sofort eine Zu- bzw. Absage bekommen«, so der Cofinpro-Berater. Wichtig dabei: Banken sollten komplizierte Formulierungen und eine Informationsflut vermeiden, da Kleinunternehmen nicht immer über das notwendige Finanz- beziehungsweise Buchhaltungswissen verfügen. Anträge müssten so gestaltet sein, dass jeder Kunde in der Lage dazu ist, den Kredit selbständig abzuschließen. Dadurch steigt die Attraktivität für den Kunden und kostspielige manuelle Prozesse werden für die Bank überflüssig.
Der digitalisierte Antragsprozess erhöht nicht nur die Effizienz und verringert die Fehlerquote in der Kreditantragsbearbeitung. Dank objektiver und transparenter Vergaberichtlinien könne die Bank zudem ihr Risiko besser steuern und kontrollieren. Der Anbieter kann sein Produktportfolio optimal an einzelne Kundengruppen anpassen und darüber auch neue Features anbieten, zum Beispiel innovative Rückzahlungsmodalitäten oder eine Anbindung an Vergleichs- bzw. Vermittlerplattformen im Internet.