Die Europäische Zentralbank (EZB) hat neue Details zum geplanten Digitalen Euro veröffentlicht und dabei vorerst die Chance auf einen großen Wurf verpasst. Zukunftsweisende Innovationen für den europäischen Zahlungsverkehrsraum sind mit einem so konzeptionierten Digitalen Euro nicht zu erwarten. Hat die EZB also nur eine überflüssige Geldkarte 2.0 präsentiert? Die auf Finanzdienstleister spezialisierte Unternehmensberatung Cofinpro zieht eine erste Bilanz der Pläne und analysiert mögliche Geschäftsmodelle.
Im Auffangbecken für ausrangierte und unbedeutende Finanzmarktinnovationen dümpeln bereits zahlreiche, einst groß angekündigte Projekte wie die Geldkarte oder auch paydirekt. „Damit dem Digitalen Euro ein ähnliches Schicksal erspart bleibt, muss die digitale Zentralbankwährung Unternehmen, Banken und Privatpersonen einen Mehrwert und bisher nicht realisierbare Möglichkeiten bieten. Der nun veröffentlichte Grundsatzbeschluss lässt jedoch viele wichtige Weichenstellungen vermissen“, sagt Norman Philipp, Manager bei Cofinpro.
„Denn bei der Konzeption des Digitalen Euro liegt der Fokus scheinbar darauf, bekanntes Terrain nicht zu verlassen und Anwender nicht mit neuen Funktionalitäten zu überfordern. Die Folge: Unternehmen, Privatnutzer und Banken können künftig zwar ein weiteres Zahlungsmittel nutzen. Es spielt gegenüber den bereits etablierten Payment-Optionen aber nur marginale Vorteile aus“, ergänzt Eric Neumann, Senior Manager bei Cofinpro.
Zukunftsgerichtet wäre es, schon bei der Konzeption Anwendungsfälle in den Vordergrund zu rücken, die in der immer stärker digitalisierten Welt gefragt sind und mit denen Unternehmen sowie Banken vom Digitalen Euro profitieren können. Denn wenn sich Prozessoptimierungen, Effizienzgewinne oder neue Mehrwertdienste realisieren lassen, besteht auch ein erhebliches Interesse daran, den Digitalen Euro beim Endkunden zu fördern oder gar zu fordern.
Die größte Enttäuschung für Unternehmen wird es wohl sein, dass es für sie vorerst nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten geben soll, selbst mit der neuen digitalen Währung zu bezahlen. Dadurch entfallen für diese Nutzergruppe viele mögliche Anwendungsfälle, die sich die Unternehmen laut einer Cofinpro-Umfrage wünschen.
So könnte beispielsweise im Zahlungsverkehr mit der öffentlichen Verwaltung eine spezielle Schnittstelle für den Digitalen Euro die Prozesse deutlich vereinfachen, wenn z.B. Daten- und Zahlungsverkehr verknüpft wären. Dadurch könnten Zahlungen leichter zugeordnet und der Verwaltungsaufwand reduziert werden. Gleiches gilt für Transaktionen zwischen Unternehmen oder von Unternehmen an private Endkunden. Die Wünsche nach einer Erweiterung des Funktionsumfangs werden in der jetzigen Fassung nur unzureichend aufgegriffen, obwohl hier das größte Potenzial zu heben gewesen wäre. Eine Ausweitung hält sich die EZB aber offen.
Gleiches gilt für die Programmierbarkeit des Digitalen Euro, die sich laut der Cofinpro-Umfrage rund 85 Prozent der Unternehmen wünschen. Diese könnte z.B. genutzt werden, um die Zahlung nur für bestimmte Waren oder auch für vordefinierte Zeiträume zu ermöglichen. Wenig überraschend ist, dass dieser Wunsch – auch laut aktuellem Entwurf – wohl nicht in Erfüllung gehen wird. Hier verschenkt die EZB erhebliches Innovationspotenzial und ignoriert die Bedürfnisse der Unternehmen.
Ein weiteres potenzielles Hindernis im Zahlungsverkehr stellen die Betragsgrenzen der Wallets dar. Die Mehrheit der Unternehmen spricht sich für einen großzügigen Rahmen aus: Bei einem maximalen Volumen von 3.000 Euro ist die Nutzung lediglich für 37 Prozent der Unternehmen wirklich interessant. Steigt der Betrag auf 5.000 Euro, wollen bereits zwei von drei Unternehmen Nutzungsmöglichkeiten anbieten. Bislang hat sich die EZB dazu noch nicht positioniert, aber es wird spannend sein zu sehen, auf welche Betragsgrenzen sie sich schlussendlich festlegen wird. Positiv ist jedoch zu bewerten, dass die Wallet bei Überschreitung der Betragsgrenze über ein angeschlossenes Zahlungskonto in Echtzeit wieder aufgeladen werden kann.
Der Finanzsektor will – auch nach dem Willen der EZB – seine zentrale Funktion im Zahlungsverkehr behalten. Dabei wird sich die Branche aber voraussichtlich weiterhin auf die bereits bekannten Zahlungs- und Kartensysteme konzentrieren, um ihren Kunden ergänzend dazu Cross-Selling-Angebote wie z.B. Konsumentenkredite oder Versicherungen zu bieten.
Für ein ähnlich breites oder innovatives Dienstleistungsangebot bietet der Digitale Euro kaum Spielraum. Neue Produkte oder Angebote könnten vor allem durch eine einfachere und kostengünstigere Handhabung entwickelt werden. Bezahlen mit einem Klick, ohne komplizierte Registrierungsprozesse oder Adressangaben - das könnte vor allem für die Sharing Economy interessant sein und Zugangshürden abbauen: Bei entsprechender Ausgestaltung könnte der Digitale Euro den Bezahlvorgang deutlich vereinfachen, wenn Nutzer beispielsweise ein Citybike ausleihen wollen, ohne sich vorher beim Anbieter registrieren zu müssen.
Bleibt zumindest der potenzielle Kostenvorteil, allerdings äußert sich die EZB dazu bislang nur nebulös. Um die Akzeptanz des Digitalen Euro bei Händlern und Unternehmen zu erhöhen, sollten Zahlungsentgelte deutlich günstiger sein als bei den US-amerikanischen Kartenanbietern oder alternativen Zahlungsmitteln. Dies würde vor allem im Handel zu einer stärkeren Akzeptanz führen und auf Konsumentenseite die Nutzung fördern.
Ein theoretischer Vorteil für die Verbraucher ist, dass im Gegensatz zu Guthaben bei Geschäftsbanken praktisch kein Ausfallrisiko besteht, da eine Zentralbank immer zahlungsfähig ist. Die Wallet wäre quasi ein „Zentralbankgeld-Konto“ für Bürgerinnen und Bürger, das per Karte oder App genutzt werden kann – allerdings mit wenig Spielraum aufgrund der Betragsobergrenze. Zudem gilt das Sicherheitsargument nur bedingt. Denn das theoretische Ausfallrisiko spielt aufgrund der staatlichen Einlagensicherung von 100.000 Euro im Alltag keine nennenswerte Rolle.
„Der Digitale Euro wird seiner Rolle, die Möglichkeiten im Zahlungsverkehr zu erweitern und die Komplexität zu reduzieren, nicht gerecht. Die Entwicklung innovativer digitaler Dienste wird so verhindert. Die wenigen Anwendungsfälle für einen Digitalen Euro werden weder Unternehmen noch private Nutzer überzeugen. Denn ohne signifikanten Mehrwert bleibt das klassische Giro- oder Geschäftskonto mit angeschlossener Debit- oder Kreditkarte (oder ein digitaler Zahlungsanbieter) die sinnvollere Wahl. Nur ein ‚Made in Europe‘ mit der EZB als starker Marke dahinter wird die Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen“, sagt Cofinpro-Manager Philipp.
Die Studie steht hier zum Download bereit: